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Über den Lautsprecher wiederholte die Frauenstimme die Aufforderung, etwas zu bestellen, aber Renees Hunger war von einer Welle der Panik fortgespült worden. Wo war John? Zwanzig Kilometer entfernt? Einen Kilometer entfernt? Stand er direkt hinter ihr?
Sie hatte den Anruf entgegengenommen, weil sie dachte, dass Paula die Nummer von Johns Handy auf ihrem Display gesehen hatte und aus irgendeinem Grund zurückrief. Dass sie Johns Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, hatte sie am wenigsten erwartet.
Sie musste von hier verschwinden. Sofort.
Aber vor ihr stand der Minivan, und mindestens drei Wagen hatten sich hinter ihr in die Schlange eingereiht. Und vom Parkplatz trennte sie eine sorgfältig gestutzte Stechpalmenhecke. Ihre Panik wuchs sprunghaft an. Wie sollte sie von hier wegkommen?
Dann fuhr der Minivan zum Ausgabefenster, und Renee stöhnte erleichtert auf. Doch die Erleichterung verwandelte sich erneut in Panik, als der kaugummikauende McTeenager dem Fahrer das Essen reichte. Eine scheinbar endlose Reihe von Tüten. Und Cola-Dosen. Und Eisbechern. Und Schokoladenkeksen. Renee schätzte, dass innerhalb von zwei Minuten genügend Nahrungsmittel in den Van gelangten, um ein Land der Dritten Welt einen ganzen Tag lang zu ernähren.
Dann gab der Fahrer eine geöffnete Pappschachtel zurück und deutete darauf. Offenbar war etwas mit dem Hamburger nicht in Ordnung. Renee wollte ihm zurufen: Das hier ist McDonald‘s und nicht Burger King! Hier gibt es keine Sonderwünsche!
Renee klammerte sich ans Lenkrad, bis ihr die Hände schmerzten. Sicherlich war ihre Zeitwahrnehmung völlig verzerrt. Dieser Nahrungsmitteltransfer konnte unmöglich eine Ewigkeit dauern.
Sie lehnte sich gegen die Kopfstütze und schloss die Augen, um sich wieder zusammenzureißen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sich John in unmittelbarer Nähe befand? Etwa tausend zu eins? Selbst hundert zu eins klang gar nicht mal so schlecht. Sie musste sich nur an die Stoßstange des Minivans hängen, und wenn er losfuhr, war sie ebenfalls weg. Alles wäre wieder in Ordnung. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und öffnete die Augen.
Und sah, dass John über die Straße auf sie zukam.
Im ersten Moment saß sie vor Fassungslosigkeit erstarrt da. Es war genauso wie damals, als sie sich mit einem Hammer auf den Finger geschlagen hatte, und es ein oder zwei Sekunden gedauert hatte, bis sie den Schmerz spürte. Dann blinkte ein großes rotes Gefahr-Schild in ihrem Gehirn, und sie drückte auf die Hupe des Explorers, damit sich die Jugendlichen endlich in Bewegung setzten.
Der Kerl streckte den Kopf durchs Seitenfenster und starrte sie an. »He! Mach dir nicht ins Hemd, ja!«
Gleichzeitig klebten plötzlich die Gesichter von drei langhaarigen Mädchen - vielleicht waren es auch Jungen, da war sie sich nicht ganz sicher - an der Heckscheibe des Minivans und begafften Renee, als wäre sie ein unglaublich faszinierendes Videospiel.
Und John kam rapide näher.
Renee ließ das Seitenfenster herunter und rief dem Fahrer zu: »Fahren Sie los! Bitte! Fahren Sie endlich weiter!«
Er achtete überhaupt nicht auf sie, sondern belegte den Drive-In mit Beschlag, als spielte Zeit überhaupt keine Rolle, als schwebte die Frau im grünen Explorer hinter ihm nicht in Lebensgefahr, als würde sie nicht in Kürze von einem sehr großen und sehr wütenden Polizisten übel zugerichtet werden.
John sprang über die niedrige Hecke, die den Parkplatz säumte, und lief weiter in ihre Richtung. Sein Gesicht war eine Fratze der ungebändigten Wut. Renee stand kurz davor, hysterisch zu werden, und tastete nach dem Türgriff. Sie überlegte, ob sie weglaufen sollte. Dann wurde ihr klar, dass John viel größer und gewiss viel schneller war als sie. Sie hätte keine Chance gegen ihn.
Sie drückte den Knopf, der die Fenster hochfahren ließ, und verriegelte die Türen. John lief um den Minivan herum und steuerte auf die Fahrerseite des Explorers zu. Seine Zähne waren gefletscht, und er sah aus, als würde er jeden Augenblick explodieren. Sein linkes Auge war fast vollständig zugeschwollen und mit einem Veilchen in Technicolor verziert, so dass er zumindest mit einer Gesichtshälfte in einem Zombie-Film hätte mitspielen können.
Hast du schon mal einen wütenden Polizisten gesehen, Renee?
Ja, jetzt hatte sie einen gesehen.
John zerrte am Türgriff des Explorers. Als er feststellte, dass sie verschlossen war, zog er eine Pistole aus dem Hosenbund und richtete sie auf Renee, so dass sie direkt in den Lauf starrte.
»Polizei! Stellen Sie den Motor ab!«
Renee schnappte nach Luft, als sie die Waffe sah. Sie hasste Waffen.
»Los! Sonst schieße ich ein Loch in dieses Fenster!«
Er machte den Eindruck, als meinte er es ernst. Sie bezweifelte nicht, dass er die Scheibe mit bloßen Fäusten einschlagen würde, wenn er keine andere Möglichkeit sah, ihrer habhaft zu werden.
Wenn doch nur der Junge im Wagen vor ihr so vernünftig wäre, sich und seine Freunde vor dem rasenden Kerl, der mit einer Waffe herumfuchtelte, in Sicherheit zu bringen. Dann hätte Renee versuchen können zu fliehen. Aber der Junge starrte gebannt auf das Spektakel, das John abzog, als würde er eine Polizeiserie im Fernsehen verfolgen.
»Deine letzte Chance, Renee!«
Sie war gefangen. Vielleicht war es besser, ihn hereinzulassen, als ihn zu zwingen, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen. Er würde sie trotzdem übel zurichten, das war klar, aber vielleicht würde er sie am Leben lassen. Sie schaltete das Getriebe in den Parkgang.
»Mach die Tür auf!«
Renees Finger verharrte zögernd über dem Knopf.
»Sie widersetzen sich der Verhaftung! Öffnen Sie die Tür, oder ich schlage die Scheibe ein. Sofort!«
Renee hielt den Atem an und drückte auf den Knopf der Zentralverriegelung. Alle Türschlösser sprangen auf. John steckte die Pistole in den Hosenbund zurück und riss die Tür auf. Seine Hand packte ihren Arm, er zerrte sie aus dem Wagen und wirbelte sie herum.
»Hände auf die Motorhaube!«
»John, bitte ...«
»Sei still und leg die Hände an den Wagen!«
Sie gehorchte ihm und machte es genauso wie ein gewöhnlicher Verbrecher, was sie in seinen Augen auch war.
Er klopfte sie grob ab. Seine Hände arbeiteten sich an ihrem Brustkorb, ihren Hüften und dann an beiden Beinen nach unten. In ihrem Hinterkopf blitzte eine Erinnerung an die Fantasien auf, denen sie sich vor weniger als einer Stunde hingegeben hatte, aber darin hatte er sie nicht auf diese Weise angefasst.
»Du weißt, dass ich unbewaffnet bin«, sagte sie. »Ich habe keine Pistole. Ich hasse Waffen. Ich hasse sogar dieses Wort...«
»Ach ja? Trotzdem hast du auf eine Supermarktbesitzerin geschossen.«
»Das war ich nicht!«
Er riss sie wieder herum, packte sie an den Armen und drückte sie gegen den Wagen. Er funkelte sie mit kaum verhohlener Mordlust in den Augen an.
»Du bist eine flüchtige Verbrecherin, Lügnerin, Autodiebin und Brandstifterin«, brummte er. »Ich sollte dich ...«
»Ich bin unschuldig! Ich habe nichts von dem getan, was man mir vorwirft!«
»Unschuldige laufen nicht davon! Und sie stehlen auf gar keinen Fall Autos!«
»Ich habe es nur geliehen. Wirklich, ich ...«
»Du scheinst die Bedeutung bestimmter Worte durcheinander zu bringen, Renee. Leihen und stehlen ist nicht dasselbe. Wenn ich dir etwas gebe, dann ist das Leihen oder Borgen. Wenn du meine Schlüssel nimmst, während ich schlafe, ist das Stehlen. Jetzt steig in den Wagen!«
Er stieß sie hinein und folgte ihr. Der Minivan stand immer noch vor ihnen, und die Insassen verfolgten gebannt das Geschehen, als ginge die Action nach dieser Werbepause jeden Augenblick weiter.
John drückte auf die Hupe. Die Jugendlichen rissen die Augen auf. Der Fahrer zog den Kopf in den Wagen zurück, trat aufs Gaspedal und verließ den Drive-in. Offenbar war er zu der Erkenntnis gelangt, dass Johns Waffe dem Gehupe zusätzlichen Nachdruck verlieh. Als John am Fenster vorbeifuhr, machte das junge Mädchen an der Ausgabe den Eindruck, als hätte sie soeben ihren Kaugummi verschluckt.
»Du hättest mir sagen müssen, dass du Polizist bist«, murmelte Renee.
»Du hättest mir sagen müssen, dass du eine Kriminelle auf der Flucht bist.«
»Ich bin nicht auf der Flucht! Ich meine, eigentlich schon, aber nur weil ...«
»Vergiss es. Ich will es gar nicht hören.«
»Wohin fahren wir?«
»Zu Leandro. Damit er dich wieder in Gewahrsam nehmen kann.«
Renee schluckte vor Entsetzen. Hatte er wirklich vor, sie der Gnade dieses Wahnsinnigen auszuliefern? »Aber du bist doch Polizist! Hast du nicht Vorrang oder mehr Befugnis oder so was?«
»Nur wenn ich entscheide, meine Befugnisse anzuwenden. In dem Augenblick, als deine Kaution festgelegt wurde, hast du deine Rechte an der Garderobe abgegeben. Wenn du türmst, kann sich jeder Kopfgeldjäger um den Auftrag bewerben, dich wieder einzufangen. Leandro ist befugt, dich in staatliche Obhut zurückzubringen, und da ich in dieser Nacht schon mehr Spaß mit dir hatte, als mir lieb ist, werde ich bereitwillig die Verantwortung an ihn abtreten.«
»Bitte, John! Bitte lass nicht zu, dass er mich zurückbringt! Er ist so wütend ...«
»Warum? Weil du seinen Wagen angezündet hast? - Ach nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass er deswegen wütend ist.«
»Du weißt, wie er ist. Lass mich nicht mit ihm allein. Er wird mich umbringen. Ich schwöre es, er wird es tun!«
»Er bringt dich nicht um. Die Zeile tot oder lebendig hat man schon vor über hundert Jahren von den Steckbriefen gestrichen.«
»Bitte! Ich möchte, dass du mich zurückbringst. Bitte!«
»Ich sagte, er wird dich nicht umbringen. Ich habe nicht gesagt, dass ich es nicht tun würde.«
Renee hätte ihm beinahe geglaubt. Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand sie mit diesem unerbittlichen Blick ansah, der zu sagen schien: »Ich will jemanden zum Krüppel schlagen«. Und es war umso Furcht einflößender, weil sie dieser Jemand war.
»John, bitte hör mir zu ...«
»Nein. Ich habe dir lange genug zugehört. Und du hast mich bisher nur angelogen.«
»Das tut mir Leid. Aber ...«
»Es tut dir Leid? Du lügst mich an, du stiehlst meinen Wagen, du hetzt mich in den Kampf gegen einen tausend Pfund schweren Gorilla, und dann hast du mir nichts Besseres zu sagen, als dass es dir Leid tut?«
In diesem Moment wurde Renee klar, dass es hier um mehr ging als den üblichen Konflikt zwischen Polizist und Verbrecher. John nahm die Sache persönlich. Sehr persönlich. Sie war schuld, dass er sich wie ein Idiot benommen hatte, und das würde er ihr niemals verzeihen.
Kurz darauf bog er mit dem Wagen auf den Parkplatz einer Klinik und hielt in der Nähe der Notaufnahme an. Renee blickte sich verwundert um.
»Was machen wir hier?«
»Ich habe es dir gesagt. Ich bringe dich zu Leandro zurück.«
»Er ist hier?«
»Nur so lange, bis man seine Nase wieder ungefähr in die Mitte seines Gesichts gerückt hat.«
»Du hast ihm die Nase gebrochen?«
»Ja. Das ist die übliche Vorgehensweise von Helden, die unschuldige junge Frauen vor brutalen Zeitgenossen schützen wollen.«
Renee zuckte zusammen. Falls er beabsichtigt hatte, ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, war es ihm gelungen.
John stieg aus, ging um den Wagen herum und zerrte Renee nach draußen. »Ich möchte, dass du dich benimmst, wenn wir dort hineingehen«, sagte er und drängte sie zum Eingang der Notaufnahme. »Wenn du dir auch nur einen Fehltritt erlaubst, werde ich dafür sorgen, dass dir Leandros Rachepläne wie ein Sonntagspicknick vorkommen. Verstanden?«
Renee kämpfte gegen den irrationalen Drang, sich von ihm loszureißen und wegzurennen. Welchen Sinn hätte es gehabt? Sie würde ihm niemals entkommen. Sie würde damit nur erreichen, dass sich seine ohnehin miese Laune weiter verschlechterte.
John zog sie durch den Warteraum zum Empfangsfenster. Eine Frau mittleren Alters im OP-Kittel und mit einem Stethoskop um den Hals stand hinter der Scheibe und blätterte in irgendwelchen Unterlagen.
John schob das Fenster geräuschvoll auf und zeigte ihr seine Marke. »Wo ist der Kerl, der sich vor ein paar Minuten angemeldet hat? Groß, zertrümmerte Nase, hässlich wie die Nacht.«
Die Frau musterte die Polizeimarke. »Er ist hinten.«
»Dann sollte er nach vorne kommen. Und zwar sofort.«
»Tut mir Leid. Er liegt in Narkose.«
»Was?«
»Er hat sich über seine heftigen Schmerzen beklagt, also habe ich ihm Demerol gegeben. Ich habe einen plastischen Chirurgen angefordert.«
»Einen Chirurgen?«, wiederholte John fassungslos. »Er soll operiert werden?«
»Ja. Wer immer ihn so zugerichtet hat, scheint ganze Arbeit geleistet zu haben.«
»Wann wird er entlassen.«
»Frühestens morgen.«
John schloss die Augen und stieß einen unterdrückten Fluch aus. Renee verspürte unglaubliche Erleichterung ein Gefühl, das John ganz bestimmt nicht teilte. Er steckte seine Marke in die Tasche zurück und schnaufte frustriert. »Na, das ist ja großartig!«
Die Ärztin beugte sich vor und senkte die Stimme. »Er wird doch nicht etwa gesucht, oder? Immerhin hätte er genau die richtige Visage für ein Fahndungsfoto.«
»Nein«, sagte John erschöpft. »Er wird nicht gesucht.« Dann warf er Renee einen vorwurfsvollen Blick zu, als wäre es ihre Schuld, dass Leandro vorübergehend außer Gefecht gesetzt war.
»Sie haben da ein ziemlich böses Veilchen«, sagte die Ärztin zu John. »Hat es irgendwas mit der zertrümmerten Nase des Kerls zu tun?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Soll ich es mir mal ansehen? Es könnte eine Orbitalfraktur sein. Wenn ich Ihr Gesicht röntge ...«
»Nein, alles in Ordnung. Haben Sie vielleicht eine Rolle Heftpflaster?«
»Ah ... ja. Klar.« Die Frau ging ins Hinterzimmer und kehrte mit einer Rolle zurück, die sie John reichte.
»Was dagegen, wenn ich die mitnehme?«, fragte er.
»Nein.«
John nahm Renee am Arm und führte sie wieder zu seinem Wagen.
»Tja«, sagte sie so lässig, wie es ihr in dieser Situation möglich war, »dann vermute ich, dass du mich jetzt nach Tolosa bringen wirst.«
Er antwortete nicht, was sie als ein Ja interpretierte.
Als sie seinen Wagen erreichten, zog er Renees Arme vor und legte die Handgelenke übereinander. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihre Hände vier- oder fünfmal mit dem Klebeband umwickelt.
»Was machst du da?«, fragte sie entsetzt.
»Ich habe keine Handschellen dabei«, sagte er, riss den Pflasterstreifen ab und drückte das lose Ende fest. »Und ich möchte kein Risiko eingehen.«
Renee blickte auf ihre gefesselten Handgelenke, und mit einem Schlag wurde ihr bewusst, in welcher Lage sie sich befand. Wie konnte es nur dazu kommen, fragte sie sich zum vielleicht tausendsten Mal. Wie war sie schon wieder auf die falsche Seite des Gesetzes geraten, nachdem sie alles dafür gegeben hatte, zu einem Menschen zu werden, der sich nie wegen der Polizei Sorgen machen musste?
Als Teenager hatte sie sich überhaupt nicht gedemütigt gefühlt, als man sie ins Gefängnis gebracht hatte. Ihre Hauptreaktion war Trotz gewesen, gepaart mit dem hoffnungslosen Gefühl, dass sowieso alles egal war, weil es auch allen anderen Leuten egal war. Die Schmach, die sie jetzt empfand, hing mit der Selbstachtung zusammen, die sie seitdem dazugewonnen hatte. Ein philosophisch veranlagter Mensch hätte möglicherweise gesagt, dass ihre Empfindung der Schmach ein Schritt in die richtige Richtung war.
Sie wünschte sich, sie könnte John von den Jahren erzählen, die sie damit verbracht hatte, ihre Vergangenheit zu überwinden. Wie sie erniedrigende Jobs ohne Aufstiegsmöglichkeiten erduldet hatte, nur um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Wie sie sich schließlich ein eigenes Leben eingerichtet hatte, auf das sie stolz sein konnte, nur um zu erleben, wie es plötzlich in tausend Scherben zerbrach.
Sie hatte den Mann hinter der Polizeimarke kennen gelernt. Den Mann mit einem großen Herzen. Den Mann, der voller Mitgefühl gewesen war, als er geglaubt hatte, dass sie misshandelt wurde, der sogar auf Leandro losgegangen war, weil er befürchtet hatte, sie könnte erneut von ihm geschlagen werden. Das war der Mann, mit dem sie jetzt gerne gesprochen hätte.
Langsam löste sich ihr Blick von der Fessel, und sie sah John in die Augen. Doch darin erkannte sie, dass sein Ausdruck des Zorns einer gefühllosen, steinernen Miene gewichen war. Er hatte die Lippen zusammengepresst, seine Augen waren kalt und ausdruckslos, und sie wusste, was das bedeutete. Von nun an würde sie ihn nur noch von einer Seite erleben - von seiner Polizistenseite.
Sie hob die Hände. »Bitte tu das nicht. Bitte. Ich werde mich ruhig verhalten. Ich verspreche es.«
»Willst du mir noch mehr Lügen erzählen?«
»Aber, John ...«
»Willst du einen Pflasterstreifen über den Mund?«
»Nein, aber ...«
»Dann schlage ich vor, dass du ihn geschlossen hältst.«
Er öffnete die Beifahrertür und schubste sie auf den Vordersitz. Dabei drückte er ihren Kopf herunter, damit sie nicht anstieß, und schlug die Tür hinter ihr zu. Sie lehnte sich zurück und spürte, wie ihr Herz in einem erbarmungslos treibenden Rhythmus schlug.
»Zuerst fahren wir zur Hütte, weil ich meine Sachen holen will«, sagte John. »Dann geht es nonstop nach Tolosa.«
Seine Worte hallten wie unerbittliche Schicksalsschläge in ihrem Kopf nach, und am harten, kompromisslosen Ausdruck seines Gesichts erkannte sie, dass er sich unter keinen Umständen von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Er wollte sie im Gefängnis abliefern, ihr dann den Rücken zukehren und aus ihrem Leben verschwinden, in der festen Überzeugung, dass er einen Beitrag geleistet hatte, eine notorische Verbrecherin hinter Schloss und Riegel zu bringen. Man würde sie durch das juristische System schleusen, bis sie schließlich in einer Strafanstalt landete, zu einem Leben in Hoffnungslosigkeit verurteilt, für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hatte.
Jetzt war es offiziell. Ihr Leben war vorbei.
Zwanzig Minuten später hielt John vor der Hütte und wurde von einem heftigen Deja-vu-Gefühl heimgesucht, das wie eine Flutwelle über ihn hinwegschwappte. Es war erst wenige Stunden her, dass er an derselben Stelle gehalten hatte und ganz auf eine Nacht voller wildem Sex mit einer schönen Frau programmiert gewesen war. Jetzt war er dabei, genau diese schöne Frau ins Gefängnis zu bringen.
Mein Gott, was für eine Nacht!
Andererseits ... je mehr er darüber nachdachte, desto zuversichtlicher war er, dass diese Ereignisse ein gutes Ende nehmen würden. Jetzt hatte er einen triftigen Grund, nach Tolosa zurückzukehren. Er konnte zu Daniels sagen, dass er seinen Urlaub abbrechen musste, um eine flüchtige Verbrecherin abzuliefern. Das konnte sein Chef ihm auf gar keinen Fall zum Vorwurf machen.
Zum Glück war Renee so vernünftig, den Mund zu halten, während sie zur Hütte unterwegs waren. Wenn sie ihn aufgemacht und weitergequatscht hätte, wie Leid es ihr tat und wie unschuldig sie doch war und den ganzen sonstigen Blödsinn, hätte er sie wahrscheinlich geknebelt, auf das Wagendach geworfen und am Gepäckträger festgebunden.
Aber sie hatte kein Wort gesagt, sondern die ganze Zeit auf ihre gefesselten Hände gestarrt und mit einem Fingernagel über eine Naht ihrer Jeans gestrichen, vor und zurück. Und das machte sie auch jetzt, während sie die blauen Augen niedergeschlagen hatte und ihr eine lose blonde Strähne über die Wange hing. Sie sah so verdammt unschuldig aus! Wenn er es nicht besser wüsste, könnte er auf die Idee kommen ...
John stellte den Motor ab und kam sich wie der größte Trottel vor, der je über diesen Planeten spaziert war. Sie hatte ihn die ganze Zeit wie eine geschickte Puppenspielerin manipuliert, und jetzt fing sie schon wieder damit an, indem sie einfach nur dasaß und gar nichts tat.
Er riss die Schlüssel aus der Zündung, stieg aus, öffnete die Tür auf Renees Seite und zog sie am Arm aus dem Auto. Der Strahler neben der Tür zur Hütte war hell genug, um ihr Gesicht sanft zu beleuchten, und als sie aufblickte und in seine Augen sah, kam er sich plötzlich vor, als misshandelte er ein verirrtes Kätzchen.
Nein. Sie ist nicht unschuldig. An dieser Frau ist überhaupt nichts Unschuldiges.
Er schloss den Wagen ab und führte sie über den gewundenen Waldpfad zur Hütte. Renee stieß einen schweren Seufzer aus, worauf er sich vorkam, als hätte er soeben einem niedlichen Kätzchen einen Fußtritt verpasst. Verdammt! Diese Frau trieb ihn in den Wahnsinn. Je schneller er nach Tolosa zurückkehrte, sie einlieferte und vergaß, dass er jemals mit ihr zu tun gehabt hatte, desto glücklicher würde er sein weiteres Leben verbringen können.
Unvermittelt hob Renee den Kopf. »Was war das?«
»Was war was?«
Sie blieb stehen und lauschte. »Das Geräusch.«
»Fang nicht schon wieder an, Renee!«
»Ich meine es ernst!«, flüsterte sie und drängte sich schutzsuchend gegen John, während sie in den dunklen Wald starrte. »Da ist jemand!«
John horchte, aber an seinem skeptischen Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er überzeugt war, alles sei nur eine weitere Lüge. Renee war jedoch fest davon überzeugt, das Knirschen trockener Kiefernnadeln gehört zu haben, als jemand zwischen den Bäumen herumschliche.
John schüttelte den Kopf und wollte gerade weitergehen, als sich das Geräusch wiederholte, nur diesmal wesentlich deutlicher. Sein Kopf fuhr herum, sein Blick suchte den Wald ab, und jetzt wusste sie, dass er es ebenfalls gehört hatte. Langsam zog er seine Pistole.
»Wer könnte das sein?«, flüsterte sie.
»Keine Ahnung«, antwortete John genauso leise. »Eigentlich sollte sich im Umkreis von zehn Kilometern keine Menschenseele aufhalten.«
Renees Herz schlug so heftig, dass es sich anfühlte, als wollte es aus ihrer Brust springen. Sie war überzeugt, dass jemand - oder etwas - sich durch den Wald bewegte. Leider hatten sich inzwischen Wolken vor die blasse Scheibe des Mondes geschoben, so dass nur schwer zu erkennen war, ob ihnen ein mit Zähnen bewaffnetes Tier oder ein mit einer Axt bewaffneter Mensch auflauerte.
John hielt sie immer noch fest und führte sie durchs Geäst. Er stieg über einen Baumstamm hinweg, der halb von Kiefernnadeln begraben war, und wich einer Gruppe junger Baumschösslinge aus. Der klägliche Rest ihres Selbsterhaltungstriebs riet ihr dazu, sich vom Wald fern zu halten, aber dann entschied sie, dass es in Anbetracht der Umstände wohl das Klügste wäre, nicht von der Seite des Manns mit der Pistole zu weichen.
»Klingt, als schleicht jemand durchs Unterholz«, flüsterte sie.
»Pssst ...«
»Bist du dir sicher, dass Leandro noch in Winslow ist?«
»Halt jetzt bitte die Klappe!«
John blieb stehen und lauschte. Mehrere Sekunden lang herrschte Stille. »He!«, rief er. »Wer ist da?«
Renee hörte ein hektisches Scharren, unmittelbar vor ihren Füßen. Sie sah nach unten, und genau vor ihr starrten zwei teuflisch rote Augen zu ihr auf, als wäre etwas direkt aus den Tiefen der Hölle emporgestiegen.
Mit einem erstickten Schrei riss sie sich von John los und rannte davon.
»Renee! Bleib stehen!«
Aber jetzt hatte ihr Fluchtinstinkt die Kontrolle übernommen, und es gab nichts, das sie noch aufhalten konnte. Außer einem Hindernis, das ihr plötzlich im Weg war. Sie spürte etwas Hartes, dann flog sie der Länge nach hin. Als sie auf den Waldboden prallte, wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst.
»Renee, es ist doch nur ein Gürtelt ...«
John kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden, weil er über denselben Baumstamm stolperte wie sie und direkt neben ihr auf dem Boden landete. Er gab nur noch ein ersticktes »Uff« von sich.
Innerhalb weniger Sekundenbruchteile gelangte Renee zu zwei wichtigen Schlussfolgerungen. Erstens hatte sie soeben vor einem der harmloseren Geschöpfe Gottes - einem Gürteltier - die Flucht ergriffen, und zweitens lag das, was sie vor einer längeren Haftstrafe bewahren würde, gar nicht weit von ihren Händen entfernt in einem Haufen Kiefernnadeln.
Johns Waffe.
Ohne weiter nachzudenken, rappelte sie sich auf und machte einen Satz nach vorn. Mit der rechten Hand, die unter der linken fixiert war, griff sie nach der Pistole, dann wälzte sie sich herum, bis sie sich in eine sitzende Position gebracht hatte. John hatte sich ebenfalls halb aufgerichtet, aber sie war schneller gewesen. Vor allem hatte sie schneller geschaltet, was die Waffe betraf. In ihren Händen fühlte sie sich schwer und gefährlich an, aber trotz ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit hielt sie die Pistole fest. Sie war wild entschlossen, nicht ihrem Instinkt nachzugeben und auch vor diesem Ding schreiend davonzulaufen.
John hockte auf den Knien und atmete schwer. »Gib mir die Waffe, Renee.«
»Auf gar keinen Fall.« Sie stand mühsam auf, ohne ihn einen Moment aus den Augen zu lassen.
»Es kann ziemlich teuer werden, auf einen Polizisten zu schießen«, sagte er und kam gleichzeitig mit ihr auf die Beine.
»Ich will dir nicht wehtun. Ich will nur deinen Wagen.« Sofern sie in der Lage war, mit gefesselten Händen zu fahren.
»Gib mir die Schlüssel«, sagte sie.
Er zögerte eine Weile, dann griff er mit bedächtigen Bewegungen in eine Hosentasche und holte die Schlüssel heraus.
»Wirf sie auf den Boden und geh zurück.«
Er tat, was sie ihm befahl, aber selbst in der Dunkelheit des Waldes machte seine kalt berechnende Art sie nervös. Sie wusste, dass sein Gehirn unablässig an einem Plan arbeitete, wie er wieder die Oberhand gewinnen konnte. Er ging zwei Schritte zurück, dann noch einen.
»Weiter«, sagte sie und wartete, bis er weit genug entfernt war, um ihr nichts mehr anhaben zu können, wenn sie die Pistole senkte und nach den Schlüsseln griff. Als sie überzeugt war, dass er keine unmittelbare Gefahr mehr darstellte, ging sie vorsichtig in die Knie und hob die Schlüssel auf.
Sie kehrte durch die Bäume zum Explorer zurück und hielt ständig die Waffe auf ihn gerichtet. Doch zu ihrer Bestürzung machte er für jeden Schritt, den sie rückwärts ging, einen Schritt vorwärts.
»Nein!«, schrie sie. »Bleib, wo du bist!«
Er ging weiter, langsam und stetig. »Wie viele weitere Verbrechen willst du in dieser Nacht noch begehen, Renee?«
»Verbrechen? Ich habe nichts ...«
Er hatte Recht. Sie konnte das entsprechende Gesetz zwar nicht zitieren, aber sie war überzeugt, dass es ein Verbrechen war, einen Polizisten mit der Waffe zu bedrohen. Und sie konnte sich vorstellen, dass es ein noch größeres Verbrechen war, wenn sie es mit seiner Waffe tat. Wieder etwas, das sie der Liste hinzufügen konnte, auf der bereits Widerstand gegen die Staatsgewalt, Brandstiftung, Autodiebstahl und ein paar andere Kleinigkeiten aufgeführt waren. Gütiger Himmel! Wie hatte all das geschehen können, nachdem sie sich fest vorgenommen hatte, nie wieder ein Gesetz zu übertreten?
»Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte John mit tiefer und ruhiger Stimme. »Wir tun einfach so, als wäre das hier nie passiert. Ich werde dich nach Tolosa bringen, und wenn sich herausstellt, dass du tatsächlich nicht für den Raubüberfall verantwortlich bist, vergesse ich einfach, dass du mein Auto gestohlen hast. Ich vergesse auch, dass du meine Waffe an dich genommen hast. Aber eins muss ich dir sagen: Wenn du auf mich schießt, wird es mir sehr schwer fallen, all das zu vergessen.«
Es war ein verlockendes Angebot. Aber obwohl es sehr vernünftig klang, musste sie früher oder später mit einer längeren Haftstrafe rechnen, weil einfach zu viele Beweise gegen sie sprachen. Allein der Gedanke ans Gefängnis brachte ihre Hände zum Zittern, als würde sie mit einem Mal unter einer Nervenkrankheit leiden. Sie versuchte sich zu beruhigen. Dann traten ihr Tränen in die Augen, und sie zitterte noch heftiger.
Nein, nein, nein!
Sie blinzelte, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie wischte sich das Gesicht an der Schulter ab, damit sie wieder klarer sehen konnte. Sie durfte jetzt nicht zusammenbrechen. Nicht, wenn sie nur wenige Schritte von der Freiheit entfernt war.
John hob eine Hand, während er immer näher kam.
»Hör mal, Schätzchen, wenn du nicht aufpasst, könntest du unabsichtlich den Abzug berühren, und ich glaube, es würde dir wirklich Leid tun, wenn du mich erschießt. Meinst du nicht auch?«
Sie war immer noch etwa fünf Meter vom Wagen entfernt, doch auf einmal wusste sie, dass sie es nicht mehr schaffen würde. John kam mit jedem Schritt näher, und wenn sie die Waffe von ihm abwenden musste, um die Wagentür mit der linken Hand aufzuschließen, würde er sich auf sie stürzen. Sie musste ihn aufhalten.
»Keinen Schritt weiter, John! Ich meine es ernst!«
Er streckte ihr eine Hand entgegen. »Gib mir die Waffe. Wirf sie einfach herüber, dann vergessen wir die ganze Sache.«
»Ja, sicher! Das wirst du bestimmt tun!«
»Ich gebe dir mein Wort, Renee. Ich werde so tun, als wäre heute Nacht nichts Erwähnenswertes vorgefallen. Aber ich muss dich nach Tolosa bringen. Wenn ich etwas anderes sagen würde, wüsstest du, dass ich lüge, nicht wahr?«
Renee bedachte ihn mit einem müden Blick. Wahrscheinlich hatte er alle möglichen Verhandlungsstrategien an der Polizeischule gelernt, die nur darauf abzielten, dass er sich keine Kugel einfing und sie im Knast landete. Woher sollte sie also wissen, was Wahrheit und was Lüge war?
»Außerdem«, fuhr er fort, »sagst du, dass du unschuldig bist. Wenn das stimmt, musst du dir überhaupt keine Sorgen machen.«
»Komm schon, John! Bei all den Beweisen, die gegen mich sprechen, wird man mich in jedem Fall verurteilen. Man wird mich in eine Zelle sperren und den Schlüssel wegwerfen!«
»Du wirst eine faire Gerichtsverhandlung bekommen.«
»Ach, hör doch auf! Glaubst du wirklich an diesen Quatsch?«
»Ich bin Polizist, Renee. Was meinst du, woran ich glaube?«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet!«
John starrte sie an, und sein Atem bildete Dunstwolken in der kalten Nachtluft. »Natürlich glaube ich daran, dass du eine faire Gerichtsverhandlung bekommst«, sagte er schließlich, aber seine Erwiderung kam etwas zu spät, um noch glaubwürdig zu klingen. Sie konnte es nicht ausstehen, von oben herab behandelt zu werden. Und sie konnte es nicht ausstehen, dass er sie für eine Verbrecherin hielt. Und ganz besonders missfiel ihr, dass er so tat, als läge ihm nur ihr Wohlergehen am Herzen, während er in Wirklichkeit nur daran interessiert war, dass sie möglichst schnell hinter Gitter kam.
Wieder streckte John die Hand aus. »Die Waffe, Renee.«
»Nein! Ich gehe nicht ins Gefängnis für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe!«
Gefängnis.
Urplötzlich wurde sie von einer Erinnerung an das »Angstprogramm« überwältigt, das sie als Teenager mitgemacht hatte. Sie hörte wieder, wie die groben, spöttischen Stimmen einer ganzen Horde Frauen auf sie einwirkten.
Du wirst vom Essen hier drinnen begeistert sein, Blondie. Maden sind unsere wichtigste Eiweißquelle.
He, Baby, wie findest du mein Kleid? Ziemlich flott, was? Lass dich einsperren, dann bekommst du auch so eins.
Siehst du diese Narbe? Ein Messer kann ziemlich gemein sein. Es ist so schnell passiert› dass ich gar nichts davon mitbekommen habe.
Was‘n los, Mädel? Heul doch nicht! Du wirst hier drinnen viele Freundinnen finden. Wir werden dich sogar Big Maude vorstellen. Sie ist ganz vernarrt in hübsche kleine Blondinen wie dich!
Renee drehte sich der Magen um. Die Erinnerungen an diese schrecklichen Stunden wirbelten wie Szenen aus einem Horrorfilm in ihrem Kopf herum. Sie konnte es nicht tun. Wenn sie zuließ, dass John sie nach Tolosa brachte, würde sich ihr Leben in einen Albtraum verwandeln.
Die Waffe fühlte sich in ihren Händen unglaublich schwer an. Die Muskeln ihrer Unterarme waren so angespannt, dass sie sie am liebsten fallen gelassen hätte. Aber das durfte nicht geschehen. Die Waffe in ihren Händen war das Einzige, das sie vor dem Gefängnis bewahren konnte. Sie atmete tief durch und legte den Finger an den Abzug.
»Du darfst mich nicht einsperren!«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte so heftig, dass sie kaum sprechen konnte. »Ich ... ich muss dich irgendwie aufhalten. Ich kann nicht anders.«
Sie hob den Lauf der Pistole ein kleines Stück an. John riss die Augen auf und hob beide Hände. »Bitte, Renee ...«
Sie hatte noch nie zuvor eine Waffe abgefeuert, also wusste sie nicht, wie es sich anfühlen würde. Sie rechnete mit einem lauten Knall und einem Rückstoß, der sie möglicherweise zu Boden warf. Also machte sie sich auf das Schlimmste gefasst. Sie hatte nicht den Eindruck, dass John Angst zu haben schien, aber in seinen Augen blitzte so etwas wie Besorgnis auf.
»Immer mit der Ruhe, Renee. Überleg dir genau, was du tust.«
Nein. Sie hatte lange genug überlegt. Jetzt war die Zeit zum Handeln gekommen.
»Es tut mir Leid, John.«
Sie holte tief Luft, konzentrierte sich auf das Ziel, schloss die Augen ... und drückte den Abzug durch.